Lost - Texte von Katharina J. Ferner
Die Textur des Raums besteht aus schiefriger Oberfläche, berührungsresistent, aber nachgiebig, Temperaturbestimmung schwankend zwischen hautwarm und zehenkalt. Im Spätherbst geforener Tau, reifbeschlagener Atem. Eingeschränkte Überlebensfähigkeit, embryonal auf Zeitungspapier gebettet.
1 Nahkampf
Das Training für den alltäglichen Kampf besteht aus mentalem Muskelaufbau. Erst danach kommt das Austesten der Körpergrenzen in Frage. Fußgesteuerte Wandbemalung, kopfstehende Tagesabläufe. Die Kirchenglocken schlagen nur am Wochenende einen Ton vor, falls dieser noch relevant, die Einordnung in Wach- und T-Raumzeit nicht ausreicht.
2 Tischgebet
Zur Mahlzeit Frischfleisch. Ausgebrezelt & plastikfrei. Spannt nur die Haut an manchen Stellen. Spannt noch die restliche Glattheit auf, bevor sich die Faltenwürfe breit machen, den Platz beanspruchen. Eine ausgebrannte Glühlampe simuliert Sonnenlicht. Der Brand bleibt aus. Irgendwo in den Knochen lauert die Hitze. Rituelle Stundung. Die Arm- und Beinzeiger folgen dem entlichteten Glühpunkt. Immer drehen und wenden und mit den Spinnfäden spielen, sich aufrollen zu einem Knäuel.
3 Lost
Die Tapetenwand treibt ihre Späße mit mir. Die Leitungen verraten anderes Leben, das Rauschen fremder Klospülungen. Durch den gebrochenen Kleister murmeln mir Menschen zu, wiegen mich in Sicherheit, bis ich sie nicht mehr bemerke, vergesse, dass noch jemand, etwas existiert. Schaukle mich in regelmäßigen Abständen, hin- und her, schabe die Tapete. Das Geräusch ist ganz leise, in keiner Wand zu hören, außer meiner: Wiegenwand.
4 Das Raubtier
Die Knochen ausfahren, die Krallen spreizen, borstige Pfoten. Die angestrengten Perlen malen schwarze Punkte an die Decke, malen einen miesen Traum aus. Die Farbtöne sind begrenzt, grenzgenial. Vielfalt in den Abstufungen, herrscherinnengrau, rächerinnengrau, schattenweiß undsoweiter. Das Fußgelenk zaudert vor dem Absprung. Es könnte einfach ein schwebender Tag sein. Es könnte einfach sein.
5 Fluchtpunkt
Sonnenwanderung: verharrende Wärmepunkte, fließende Erleuchtung. Beam me down. (Beat me ….) In den bewegten Dielen nach Passwortinschriften suchen, Geheimniskram, flirrenden Losungen. Die zerfallenden Flusen abwarten, den Staub ausharren, flach atmen, flach werden, flundern. Flundern. Down. Meet me im nächsten Leben, Scotty, bin ich eine Wanderheuschrecke.
6 Gradsteigerung
Abrollen, ohne den Nacken zu verletzten, behutsames Aufsetzen der Schulterblätter, Wirbeltier. Behutsames Aufbäumen, den Nachgeschmack auskosten. Welche Tür würden Sie wählen? Altbekannte Fragen auf die es keine passenden Antworten gibt, aber was ist schon passend. Eingefleischte Komfortzonenträger. Es gibt keinen Ausgang, abgefallene Klinken, klopfende Knochenfreuden.
7 Schauraum
Löschpapierene Lust faltet sich auseinander, raupt sich empor aus niedergerungenen Nestern. Das Lustding lungert in abgeknickten Körperlingen, Zehenzwischenräumen, Risshaut, verknackten Rippenbögen. Außen zu Innen und dort dann: ein Schauraum. Behagliches Streichen der Maserung, Funkeldielen, frisch poliert. die Pausendauer beträgt sieben Minuten. Eins, zwei. Es zwitschert. Drei, vier. Undsoweiter.
„Lost ist nicht nur ein Raum, sondern auch ein Zustand. Verlorenheit im Inneren. Verlorenheit, die die letzten Stärkefünkchen auffordert sich auf den Weg an die Oberfläche zu machen. Am tiefsten Punkt liegt der alte Anfang, wartet wie ein Überwurf auf Tage voller Fragwürdigkeiten. Testen ob die Haut noch da ist, testen ob die Muskeln noch da sind, ob der Körper noch mitmacht. Unsicherheiten im Kopf ausbügeln. Konzentration. Den Tag- Nachtrhythmus einfangen.“
Texte von Katharina J. Ferner