Interview Esslinger Zeitung 27/28.04.2013 - Yves Noir Photographie -

Wider die Flüchtigkeit des Sehens

 

ESSLINGEN: Die Porträts und Aktbilder des Fotografen Yves Noir sind von großer Klarheit, Stille und natürlicher Ästhetik

Wie sehe ich ihn? Wie sieht er sich selbst? Und wie möchte er sein? Yves Noir spürt in seinen Fotografien, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, die Persönlichkeit auf. Ob angezogen oder nackt, stehend, sitzend oder liegend, ob in Konzentration auf das Gesicht oder auf den Körper - der Esslinger Fotograf setzt in seinen Bildern der Flüchtigkeit des Sehens das Festhalten, das Erinnern und das Erkennen entgegen.Yves Noir ist Perfektionist, für den das präzise Setzen des Lichts eine zentrale Rolle spielt. Und er ist ein akribischer Arbeiter, der seine Bilder sehr genau vorbereitet - um sich jedes Mal wieder verblüffen zu lassen: „Es wird immer anders, als man plant, und das ist gut so. Man muss auch dem Zufall Raum lassen.“ Eine Foto-Session empfindet er als Begegnung, als ein gegenseitiges Geben und Nehmen zwischen Fotograf und Modell: „Wir begeben uns gemeinsam auf eine Reise und lassen uns überraschen, wo die Tour hingeht.“

 

Aha-Erlebnis fürs Modell

Besonders beglückt es ihn, wenn er einem Modell ein Aha-Erlebnis schenken kann, wenn es beim Betrachten der Bilder neue, ungekannte Seiten an sich entdeckt. „Ein Porträt ist ein Angebot“, erläutert Yves Noir seine Sicht auf die Menschen. Dabei setzt er bewusst auf „Bordmittel“, wie er es nennt. Ihm geht es um Natürlichkeit, deshalb rückt er nicht mit Stilist, Make-Up-Artist und Haarkünstler an, um Winterblässe zu verdecken, Hautunreinheiten zu kaschieren oder Falten zu glätten: „Die Menschen sollen so sein wie sie sind. Desto eher man mit seinem eigenen Körper im Reinen ist, desto besser kommt man durchs Leben.“

Bei seinen Aktaufnahmen ist nicht Erotik, sondern die natürliche Ästhetik des Körpers Thema, das Ursprüngliche und Substanzielle abseits von Kleidung, die oft auch Verkleidung ist. Bewusst arbeitet Yves Noir dabei nicht mit Profimodellen „Deren Körpersprache liefert immer ähnliche Ergebnisse. Das sind oft auf Knopfdruck ab-rufbare, einstudierte Posen. Ein Laienmodell ist unvorbelastet. Da geht es um die Persönlichkeit.“ Bei ihm, der Körper oft wie Landschaften einfängt, zeigen sich die Modelle in ihrer Freiheit ebenso wie in ihren Grenzen. Und es entstehen Akte von großer Schlichtheit, Klarheit und Stille, die an Gemälde erinnern und einen zweiten und dritten Blick verdienen.

Eigentlich macht Yves Noir, der 1967 in Strasbourg geboren ist, mit 17 Jahren sein Heimatland verlassen hat, in München als Fotoassistent arbeitete und dann Mediendesign mit Schwerpunkt Fotografie studierte, bevor er sich in Esslingen selbstständig machte, nicht gern viele Worte um seine Person. Das Fotografieren sei seine „Art der Kommunikation mit der Außenwelt“. Der Künstler, so Noir, „realisiert Arbeiten, weil er nicht anders kann. Für ihn haben seine Arbeiten eine innere Notwendigkeit, ans Tageslicht zu kommen.“ Lebendig werden die Bilder aber erst durch das Betrachten: „Wenn Bilder nicht angeguckt werden, dann leben sie auch nicht“, ist Noir überzeugt. Der Beobachter, der vor dem Bild steht und sich damit konfrontiert, entdeckt, so Yves Noir, in erster Linie sich selbst: „Jeder sieht im Bild etwas anderes, projiziert etwas anderes hinein, jeder bringt seine eigene Geschichte mit, jeder hat einen anderen kulturellen Hintergrund.“ Genau das empfindet der Künstler als reizvolle Herausforderung: „Das vervielfältigt die Möglichkeiten.“ Bewusst gibt er seinen Fotografien keine Titel, die das Denken in eine bestimmte Richtung lenken und die Vieldeutigkeit einschränken: „Ein Titel gibt einen Rahmen vor und macht dadurch den Betrachter unfrei.“

 

Sinn und Verstand

Weil er, wie viele seiner Künstlerkollegen, von seinen freien Projekten allein nicht leben kann, übernimmt Yves Noir auch Auftragsarbeiten. So fotografiert er etwa jedes Jahr den Schriftsteller, der mit dem Chamisso-Preis der Robert-Bosch Stiftung ausgezeichnet wird. Diese Porträts wirken nie arrangiert, zeigen die jungen Autoren in ihrem Alltag in unterschiedlichen Facetten: „Die Zeiten, in denen man Schriftsteller auf ein Podest stellte oder sie imposant die Denkerstirn runzeln ließ, sind vorbei.“

Darüber hinaus arbeitet Yves Noir im In- und Ausland als Dozent. Wenn er etwa in Workshops mit Jugendlichen zu tun hat, versucht er, ihnen einfache Gestaltungsregeln mit auf den Weg zu geben: „Da kommt man aus dem Urlaub, sieht seine Bilder und ist enttäuscht: Da fehlen die Gerüche, die Wärme, die Atmosphäre. Digitale Fotoapparate verführen dazu, einfach alles wegzuknipsen. Wenn man aber mit Sinn und Verstand fotografiert, dann kommt auf dem Bild auch die Botschaft rüber, die man gern hätte.“ Ein privates Fotoalbum hat Yves Noir übrigens nicht: „Der Alltag ist oft eine eher triste Angelegenheit, der es häufig an Ästhetik mangelt“, meint er grinsend, „ich finde meinen Alltag nicht so spannend, dass ich ihn unbedingt für die Nachwelt dokumentieren müsste.

 

Von Gaby Weiß

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