Ulrike Wörner: Macht es für Dich ein Unterschied, ob Du bekannte Autoren oder Schüler der Schreibwerkstatt porträtierst?

Yves Noir: Bei meiner Arbeitweise mache ich da natürlich keinen Unterschied, jeder wird gleich professionell abgelichtet. Aber die Zielsetzung ist eine andere.

Kannst Du die Zielsetzung näher benennen?

Bei Autoren sind Porträts meist eine PR-Maßnahme. Da versucht man den Autor so ins Bild zu setzen, dass er sympathisch ist, ansprechend, außergewöhnlich und so weiter. Die Schokoladenseite, natürlich auch die des Künstlers, die muss ich einfangen. Bei Schülern handelt es sich beim Porträt einerseits um eine identitätsbildende und somit schon pädagogische Maßnahme und da möchte ich den Schüler so natürlich wie möglich einfangen - dazu gehört dann auch eine gewisse Verletzlichkeit, die bei Teenagern, wie ich finde, besonders groß ist. Auf der anderen Seite haben bekannte Autoren mehr Vorurteile über Fotografen, vielleicht auf Grund schlechter Erfahrungen. Sie geben sich auf Anhieb nicht so frei wie die Jugendlichen.

Wie definierst Du frei in diesem Zusammenhang?

Es fehlt die Naivität, im positiven Sinne, aufgrund ihrer Lebenserfahrung. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Jugend und Erwachsensein.

Ein Aufbau in der Schule, inmitten von Schultischen und Schulstühlen und dem typischen Schulgeruch kann man jetzt nicht mit der Atmosphäre vergleichen, die entsteht, wenn ich mit Ilija Trojanow durch den Schwarzwald wandere und ihn dabei fotografiere oder Terezia Mora in ihrer Berliner Wohnung, inmitten ihrer Bücher.

Ein Unterschied ist auch, dass die Schüler der Werkstatt mich schon ein halbes Jahr gekannt haben, bevor ich die Aufnahmen machte. Die Vertrauensbasis ist da natürlich eine andere, als wenn Du jemandem zum ersten Mal begegnest.

Es wird immer Menschen geben, die sich gerne fotografieren lassen und welche, die das nicht mögen.

Sieht man jemandem auf dem Photo an, ob ihm die Situation gerade unangenehm ist?

In der Regel suche ich solche Bilder nicht aus, aber der ein oder andere ängstliche Blick ist immer wieder dabei, natürlich gibt es das.

Warum haben manche Menschen solche Probleme porträtiert zu werden?

Ich glaube, das ist die Angst sich selbst zu sehen und dass man nicht so ist oder so wirkt, wie man es gerne würde. Die Diskrepanz zwischen dem Eigenbild und einer Fotografie, die immer noch als beweiskräftig empfunden wird. Angst davor, dass man mit einer Realität konfrontiert wird, die sich von der Eigenwahrnehmung unterscheidet.

Das liegt ja auch daran, dass man sich vor allem seitenverkehrt im Spiegel sieht. Zum Beispiel morgens im Bad. Das ist natürlich auch nicht so ein glücklicher Moment.

Ja, eben.

Lässt Du Dich gerne porträtieren?

Gerne wäre übertrieben, sagen wir es so: es stört mich nicht. Aber am liebsten lasse ich mich von mir selber porträtieren.

Aber ein Selbstporträt und ein Fremdporträt, das ist ja etwas grundsätzlich anderes: da geht es ja gleich wieder um Eigen- und Fremdsicht. Also ist es Dir doch unangenehm, Du willst Dich auch ins rechte Licht rücken...

...wer will das nicht. Als Bildautor ist man sich bewusst, in welchem Ausmaß Bilder täuschen können. Ich meine damit nicht nur retouchierte Falten oder Fettpölsterchen, sondern Täuschung auf eine sehr simple Weise mittels Bildgestaltung. Zum Beispiel, ob ich ein weiches oder hartes Licht verwende, ob ich auf Augenhöhe oder von oben oder unten fotografiere und so weiter. Und diese eventuelle Täuschung über mich möchte ich dann schon ganz gerne selbst gestalten (lacht).

Hast Du eine Veränderung in der Bereitschaft sich fotografieren zu lassen bemerkt? Zum Beispiel seit vermehrt Casting- und Model-Shows im Fernsehen zu sehen sind? Mein Eindruck ist, dass sich - seit unserer gemeinsamen Arbeit 2003 -  die Schülerinnen dank Heidi Klum und GNT viel lieber fotografieren lassen. Da mussten wir in den ersten Werkstätten doch viel mehr Überzeugungsarbeit für unser Projekt leisten.

Ja, durch dieses Phänomen gibt es schon die Bereitschaft sich eher vor eine Kamera zu stellen, aber es ist schwieriger geworden, an die Person an sich zu kommen, weil viele sofort eine Pose einnehmen, die sie aus diesen Fernsehsendungen kennen.

Posen?

Ja, alleine schon die Körperhaltung, also eine Hand in die Hüfte, ein Bein vorstellen etc. Sie sind auch nicht so interessiert eine Porträtaufnahme zu bekommen, was ja mit ihrer Persönlichkeit zu tun hat, sondern es sollte alles mit fashion, beauty und glamour zu tun haben.

Einmal wollte sich ein Mädchen aus einer Nachbarklasse einschmuggeln. Das war bei einem Projekt in einer anderen Schule. Die stand auf einmal im Türrahmen und wollte auf Teufel komm raus auch dabei sein. Ich merkte es erst, als ich ihren Namen nicht auf meiner Schülerliste fand.

 

Ulrike Wörner

Go back