Der Körper als Kürzel

Zur Fotoserie „Wandschaft“ von Yves Noir

 

Wie viel Körper muss eigentlich auf einem Foto sein, damit wir von einem Portrait sprechen können? In Yves Noirs Fotoserie „Wandschaft“ sind es teils nur drei bis 5 Prozent der Bildfläche, die von einem Körper bedeckt werden.

Arme und Beine, Ober- oder Unterkörper ragen wie abstrakten Bildzeichen, wie Kürzel von rechts oder links ins Bild. Sind es Buchstaben, die das Model mit seinen Gliedmaßen darstellen möchte? Oder sind es Posen, die repräsentativ für bestimmte Gefühle stehen? In erster Linie sind es wohlproportionierte Augenkitzel. Kaum ein Künstler hat bisher einzelne Körperteile, die hier wie zwischen Figürlichkeit und Ungegenständlichkeit changierende Skulpturen wirken, mit solch einer Grazie festgehalten.

Das Setting ist ebenfalls übersichtlich: brauner Holzdielenboden und eine weiße Wand, die im unteren Bereich durch einen Wandvorsprung mit schmaler Kante unterbrochen werden. Teils positioniert sich das Model auf dieser Fläche, teils sitzt oder liegt es auf dem Boden.

Der Titel der Fotoserie „Wandschaft“ ist gut gewählt, ist das Motiv doch eine reizvolle Kombination aus Wand und Landschaft, eben eine Wandschaft, die keine klassische Landschaft mit Wiese, Wäldern oder Bergen zeigt, sondern lediglich spielerische, aber höchst ästhetische Varianten: Fragmente eines Körpers, in Pose gesetzt vor einer Wand.

Mit viel Mut zur Lücke (ein Großteil der Fotos ist ja quasi leer) beweist Yves Noir, dass sich ein nackter Körper und eine nackte Wand höchst sinnlich in Einklang bringen lassen. In Zeiten, in denen uns auf der Straße und in Foto-Ausstellungen bunte Allover-Reize überfluten, ist es gut und beruhigend einen Fotografen wie Yves Noir zu haben, der sich diesem Bilderfluss mutig und entschieden entgegenstellt. 

 

Marko Schacher, Galerist und Kurator

August 2017

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